Bella Italia
Schweiz für ein paar Minuten – Tag 16
Am Abend zuvor rieb ich mein weiches Knie mit einem Kilo Voltadent ein und betete, dass es am nächsten Tag wieder voll einsatzfähig sein wird. Das schien zu dem Zeitpunkt jedoch völlig aus der Luft gegriffen, denn nicht mal draufsteigen oder abwinkeln funktionierte, sogar ans Aufgeben hab ich gedacht. Ich verabschiedete mich schon mal von dem langersehnten Traum das Meer mit dem Fahrrad zu erreichen. Als ich aber um 5 Uhr morgens erwachte und gleich mal den Knietest machte, hätte ich beinahe vor Glück geheult, es hat brav gefolgt und ließ sich wieder abbiegen – juhui!
Nachdem wir uns von der Tankstelle Frühstück geholt haben, aßen wir das genüsslich auf der Terrasse von der guten alten Hilde (ich versteh ca. jedes vierte Wort nicht). Das war so gemütlich dort und dass wir Besuch von zuhause hatten war so schön, ich hätt‘ gern die Zeit angehalten. Gegen Mittag sind Chrisi, Pascal und ich losgefahren um uns mit MaPa und Delanda 18 Km weiter in dem Städtchen Tösens zu treffen. In dem Restaurant dort bekamen wir allerdings nichts zu essen also fuhren wir bei Platzregen nochmal ein bisschen weiter und landeten in Pfunds in einem, nennen wir es, nicht-so-zufriedenstellend-fliegenüberladendem-Gasthof. Als dann der Abschied gekommen wäre, entdeckte Pascal in meinem Vorderreifen einen Reisnagel; ich hatte also schon wieder einen Platten, genau eine Woche nach meinem ersten. Diesen pickte Papa in Windeseile und wir drei fuhren weiter Richtung Süden; die anderen drei wieder retour nach Hause.
Die Strecke bis zu unserem nächsten Etappenziel Nauders ist zwar keine Radstrecke, wir fuhren direkt an der Schnellstraße entlang, jedoch ließen wir ständig „Ohh’s“ und „Ahh’s“ los weil links und rechts die Berge so nah sind und die Vegetation uns an die Urzeit der Dinosaurier erinnert hat. Wir fuhren und fuhren und landeten schließlich in Martina in der Schweiz. Lol, einfach mal einen paar minutenlangen Abstecher in die Schweiz gemacht, hab ich irgendwie lustig gefunden. Dies ist nämlich die weniger gefährliche Strecke als über den berüchtigten Reschenpass zu fahren. Von dort aus mussten wir über die Martinsbrucker Straße einen enormen Anstieg über 11 Kehren bewältigen („Wenn’s die Gerlos-Alpenstraße gschofft hobts, is des a Lärcherlschas dagegen“) – und gelangten in die Ortschaft Nauders. Dort krachten wir einige Höhenmeter wieder bergab und hielten Ausschau für die Nacht.
Von der Straße etwas entfernt lachte uns der „Urlaub am Bauernhof – Valrunzhof“ an. Da hatten wir ein gutes Gefühl, da mussten wir hin. Wir wurden nicht enttäuscht, Sonja bot uns ohne Zögern einen netten Zeltplatz auf ihrem Grund an und lud uns ein, mit ihrer Familie gemütlich beisammen zu sitzen. Sepp, der Hausherr stellte uns gleich mal drei Bier zum Abendessen her. Unter anderem erzählte er uns, dass vor einiger Zeit ein paar wilde Bären dort ihr Unwesen getrieben haben (Danke!) und dass sich zwei Kühe gerade im Kreissaal befinden. So verging die Zeit bis wir um 23 Uhr gerade in unser Schlafgemach kehren wollten, als die Geburt losging. Mit sowas hab ich überhaupt nicht gerechnet! Von ein paar Metern Entfernung durften wir das ganze miterleben! Mann war ich aufgeregt, ich glaub mehr als die Kuh selbst! Plötzlich rief die kleine Tochter von Sonja „Das sind ja Zwillinge!“ – so geil. Dann durften wir hingehen und die ersten Lebensminuten der beiden Kalbsmädchen beobachten. Das war so schön, werd ich nie vergessen! :) Als wir dann endgültig im Zelt angekommen sind, haben wir noch unheimliche Bellgeräusche unmittelbar neben unserem Zelt vernommen. Haben’s dann gegoogelt, war ein Fuchs!
Etsch Radwanderweg – Tag 17
Nach dem Aufstehen und Zeltabbauen gesellten wir uns zum 9 Wochen alten Border Collie Welpen „Jessi“ – (sooo süß) und verabschiedeten uns von der netten Familie vom Valrunzhof. Nach wenigen aber steilen Kilometern sind wir – Tatatataaaa – in Italien (also Südtirol) eingefahren. Nicht weit und wir gelangten zum überaus schönen, in vielen Blaufarben erscheinende aber kühle Reschensee. Wir zischten die rechte Uferseite entlang und hielten Ausschau nach dem Kirchenturm mitten im See, von dem uns Sepp am Abend zuvor berichtet hat. Schließlich entdeckten wir den „Kirchturm aus Graun“; dieser ragt wirklich, mir nichts, dir nichts, einfach aus dem See. Im Reschensee liegt nämlich eine ganze Stadt „begraben“; diese wurde kurz nach Ende des 2. Weltkriegs geflutet wegen dem Projekt den Reschen- und Graunsee zu stauen.
Dann begann die phänomenalste Radstrecke überhaupt: der Vinschgauer Fahrradweg. Dieser stellt damit ein Teilstück des bekannten Etschradweges dar. Unzählige andere Radfahrer hatten dieselbe Idee dort entlang zu fahren. Man nennt diese Strecke nicht umsonst „Fahrrad-Autobahn“. Dort folgt der Radweg dem Lauf des Flusses Etsch, die uns dann einige Tage lang begleiten wird. Wuuunderschöne Wälder, Wiesen und süße Örtchen wie Burgeis, Schleis, Laatsch durchfuhren wir und kehrten für ein paar heiße Pommes in Glurns (Glorenza) ein.
Achja, die Eltern haben Pascal zwei Radtaschen mitgenommen (er fuhr bis dahin mit einem Rucksack im Korb), haben es zwar lieb gemeint aber er und die Ortliebtaschen werden glaub ich nie Freunde fürs Leben weil sie mit seinem Gepäcksträger nicht wirklich kompatibel sind und deshalb oft herunterrutschen und deswegen das Kokosöl zerbrochen ist und sich über die Sachen ergossen hat. Ich allerdings bin saufroh über meine beiden ausgeborgten Radtaschen, Mandi vielen Dank dafür! Sie erleichtern mir die Fahrradtour ungemein!
Jedenfalls sind wir in Schluderns bei einem Fischerteich zuwigebogen um Pascal’s Radtasche vom Öl zu befreien und noch einen Happen zu essen. Dann weiter gedüst über Laas, Schlanders, Latsch. Im Ort Kastelbell haben wir noch immer keinen Platz zum Schlafen gefunden, es war mittlerweile wieder 22 Uhr und zu regnen hat es auch wieder begonnen. Uns blieb nichts anderes übrig als auf den Bahnhof vom Regen und Blitz zu flüchten und mal abzuwarten. Dann entdeckten wir beim Bahnhof einen warmen Warteraum und kehrten dort ein. Ich pennte genüsslich vor mich hin als um Mitternacht die beiden mich weckten. Der Regen hatte mittlerweile gestoppt darum wollten sie einen Zeltplatz im Wald suchen. Wer mich schonmal aufgeweckt hat, weiß wie ich da drauf war, ich fand es dort nämlich garnicht so schlecht. Dann machten wir uns also auf um nur 7 km weiter in Naturns wieder in einen anderen Bahnhofswarteraum (diesmal viel weniger gemütlich) zu beziehen weil wir 1) keinen schönen Waldplatz fanden und 2) Blitz und Regen wieder einsetzten. Hat sich also massiv ausgezahlt.
Ride on – Tag 18
Um 5 Uhr morgens sind wir aufgestanden und haben den Bahnhof verlassen. Die Nacht war richtig fürn Arsch. In dem Warteraum hat es genau eine kleine Bank gegeben, sprich teilweise im Sitzen geschlafen, außerdem konnte man das grelle Licht nicht ausschalten. Wir waren ziemlich zerstört und suchten uns deshalb in der Natur einen Platz wo wir noch für ein paar Stunden die Augen schließen könnten. In Algund (Lagunda) sind war auf einer sehr hohen Ebene mit toller Aussicht, extra für Biker geblieben und haben uns bei dieser Radrast auf eine Bank gelegt und noch etwas gepennt. Dort war es auch wo wir unsere erste Palme erblickten. Man muss also 735 km weit fahren um Palmen um sich zu haben! :) Außerdem haben wir dort einen „Bekannten“ den wir einige hundert Kilometer entfernt getroffen haben, wiedergesehen.
Als die Sonne dann wieder so herunterbrannte und schon einige Radfahrer sich wunderten warum zum Teufel wir auf der Parkbank pennten, fuhren wir so gegen 10 Uhr los. Heute stand Meran (Merano) am Programm. Meran ist nach der Landeshauptstadt (Bozen) mit fast 40.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Südtirol. Dort fühlte man unserer Meinung nach das erste Mal schon langsam den italienischen Flair. Die Gebäude und auch die Menschen dort sahen irgendwie etwas italienisch aus. Deutsch sprechen sie aber natürlich dennoch gut. Obwohl es eine so große Stadt ist, habe ich es als sehr entspannt und chillig in Meran empfunden. Wir gönnten uns einen köööstlichen Falafel Kebap in der schönen Stadt und genossen die Atmosphäre.
Dann ging es los Richtung Bozen (Bolzano); mit Meran verlassen wir den Vinschgau und etwa hier ist der Start (vielleicht auch schon vorher) von soooo unendlich vielen Obstplantagen (vorwiegend Äpfel) soweit das Auge reicht. Diese werden uns nun einige Tage lang begleiten. Wir waren gerade in Lana als wir zwei norddeutsche Mädels getroffen haben. Mit ihnen sind wir in der Hauptstadt Bozen auf den Campingplatz „Moosbauer“ gefahren. Neben Pool, Musik und tausend Kindern weist der Campingplatz ein feeling von all-inklusiv-Urlaub auf, für uns definitiv zu viel des Guten. Als Abendessen haben wir eine halbe Kilo Monster-Packung Chips verdrückt.
Couchsurfen auf Italienisch – Tag 19
Beim Aufwachen sind wir fast zergangen, so elendig heiß war es im Zelt. Nach dem Abbauen (wir werden schon immer schneller) sind wir los und haben für den Tag HappiPappi eingekauft. Wir wollten zum Kalterer See fahren und uns dort abkühlen. Enorm steil bergauf gings über die Weinstraße strada del vino nach Kaltern. Oben angekommen galt es nun alles wieder bergab zu düsen, auf einmal war Pascal weg. Ich dachte er ist schon vorgefahren also sind wir hinterher. Unten angekommen haben wir gecheckt, dass es noch eine andere Route von oben gibt und er da ganz woanders rauskommen wird. Na toll! Handy hat er, wie es bei solchen Vorkommnissen immer ist, nicht eingeschaltet gehabt, weil der Akku leer war. Nachdem ich schon etwas unrund war und wir einfach mal auf Verdacht in eine Richtung fuhren, kam er uns Gott sei Dank schon entgegen – Puh!
Nachdem der See ohne Eintritt zu bezahlen, nicht zugänglich ist, hat uns das so angepisst, dass wir wieder weggefahren sind.
Nun sind die unendlichen Apfelplantagen den unendlichen Weinreben gewichen. Wir sind laaange gefahren, zB durch Tramin und Salurn. Zu Salurn habe ich mir die Notiz „elendig geile Berge“ gemacht! ;) Ungefähr hier ist langsam mal Südtirol zu Ende und das richtige hardcore Italien beginnt.
Wir fahren und fahren und dachten schon wir müssen verdursten, auf einmal erschien neben der Fahrtbahn ein „bikebreak“ bei dem es sogar drei vegane Speisen gab! nomnom!
Beim Zahlen haben wir den Kellner gefragt, ob er eventuell ein Plätzchen kennt auf dem man wildcampen darf. Er sagte uns dann, dass es in Lavis eine Brücke gibt und in dem Areal rundherum kann man zelten ohne dass man Probleme bekommt. Dann machten wir uns also auf nach Lavis! Als wir dann diese Ortschaft erreichten (es war natürlich schon wieder fast dunkel), hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Die Stadt hat auf mich einen sehr heruntergekommenen Ghetto-Eindruck gemacht. Als wir die besagte Brücke erreichten, wurde ich schlussendlich vollständig paranoid: was wenn das eine Falle ist und der Kellner seine Mafiosi Freunde Bescheid gibt, dass unter der Brücke drei Opfer zelten? Nee, nicht mit mir! Zur vollsten Unzufriedenheit der beiden mussten wir also weitersuchen und in die nächste Stadt (Trento) düsen.
Planlos fuhren wir also in Trento (Trient) herum auf der Suche nach einem billigen Hotel (forget it) oder vielleicht finden wir zumindest ein wlan. Denn wir hatten beim bikebreak wieder ein paar Couchsurfer angeschrieben. Mittlerweile war es schon 22 Uhr als wir beim Hotel Everest free wifi fanden. Als wir dann sahen, dass Martha aus Trento unsere Anfrage akzeptierte, waren wir heilfroh! Da Martha aber außerhalb der Stadt wohnt und es noch sicher 1,5 Stunden gedauert hätte zu ihr zu gelangen, bat sie uns sogar an, uns mit dem Auto abzuholen! Wir stellten unsere Räder in den Hinterhof des Hotels und warteten auf sie. Kurze Zeit später trudelte sie mit einem Freund Alessandro ein und klaubte uns auf.
Martha ist Studentin (und Veggie!) und wohnt in den Sommerferien bei ihrer Mama in einem richtig geilen Haus mit Megagarten und Hunden, Schildkröten, Enten und Hühnern. Obwohl es schon sauspät war, setzten wir uns noch mit ihr, Alessandro und ihrer Schwester Anna zusammen. Sie haben uns sogar noch Essen zubereitet – so geil! Gepennt haben wir dann auf zwei Sofas. Martha hat uns echt aus der Patsche geholfen!
Jetzt habt ihr also euren Kindheitstraum „mit dem Rad nach Italien“ erreicht. „Alles zu seiner Zeit“ passt hier perfekt. Noch viele schöne Erlebnisse bei eurer Reise zum Meer.
Da habt ihr ja schon einiges hinter euch! Wirklich toll was ihr alles meistert und erlebt! :) Weiterhin eine gute Fahrt und ganz viel Freude!