Der Beginn meiner neuen Zeitrechnung – Was jetzt noch bleibt ist Schmerz und Selbstliebe
Wir haben den 22 Februar 2016. Draußen ist es kalt, es regnet. Ich befinde mich noch immer oder besser gesagt, schon wieder im Krankenhaus. Diesmal in Linz und nicht mehr in Wels. Ich liege, wie schon die Stunden zuvor, im Bett, blicke aus dem Fenster und höre nur die Armbanduhr meiner Zimmerkollegin. Tick. Tack. Tick. Tack.
Oh Mann, ich drehe fast durch. 3 Wochen bin ich nun schon im Spital. Es scheint, als würde die Zeit hier still stehen aber gleichzeitig viel zu schnell vergehen. Denn eigentlich läuft mir die Zeit davon. Die unerklärlichen Schmerzen in meinem rechten Unterbauch sind nach wie vor da und eigentlich stärker denn je. Aber sie finden einfach keine Ursache. Drei Magenspiegelungen, zwei Darmspiegelungen, zwölf Ultraschalls, CT, MR, unzählige Blutsproben und WeißderKuckuckwasnoch an Untersuchungen habe ich hinter mir in Thailand, Laos, Wels und Linz und sie FINDEN KEINE URSACHE!!!! Langsam verzweifle ich. Dass zumindest der rätselhafte Ausschlag am Körper sowie das massiv hohe Fieber vergingen, ist schon mal gut, beruhigt mich allerdings nur ein bisschen.
Und nach jeder Untersuchung der erneute Rückschlag: „Alles in Ordnung“. Man könnte doch meinen, dass ich eigentlich froh sein müsste oder? Ich bin’s aber nicht. Absolut nicht. Ich werde nämlich immer verzweifelter und verzweifelter. Ich dachte niemals, dass ich das mal sagen würde, aber: Bei jeder Untersuchung, die angeordnet und durchgeführt wurde, hoffte ich, nein, ich betete, dass sie verdammtnochmal etwas finden würden. Egal was. Wirklich. Das hört sich vielleicht dumm an und nicht nachvollziehbar, vor allem für all diejenigen die traurige Gewissheit über eine schlimme Krankheit haben, und es tut mir Leid aber so fühle ich nun eben. Jeder der seit Monaten oder sogar Jahren Schmerzen unbekannter Ursache hat, kann mich vielleicht verstehen.
Wie ich so da liege und an die weiße Decke starre, stelle ich mir die Frage, ob ich überhaupt das Recht dazu hätte, deprimiert über meine Situation zu sein, wo ich doch eigentlich ansonsten so ein Glück habe? Mehr besitze als die meisten auf dieser Welt. Ein Dach über dem Kopf, Zugang zu sauberem Trinkwasser, gesundem Essen, eine gute Ausbildung , ein Pass mit dem ich überall hinreisen konnte und nicht zuletzt eine wahnsinnig tolle Familie und Freunde die immer hinter mir stehen…
Gestern war Visite; mindestens zu Acht sind sie vor mir gestanden aber so sehr ich auch versuchte, nicht schwach zu sein, ich konnte einfach meine Tränen nicht zurückhalten als sie schon wieder die von mir so gefürchteten Worte sagten: „Also da ist nichts. Alles in Ordnung.“ Und noch nachgeschoben: „Seien Sie doch froh, dass wir nichts finden.“ Und dann der Oberburner „Haben Sie es denn schon einmal mit Schmerztabletten versucht?!“
Morgen werde ich – sollte bei der allerletzten Untersuchung auch nichts gefunden werden – aus dem Krankenhaus entlassen. Die Zeit läuft mir davon. Etwa zwei Monate zuvor, ich war in Laos, fragte mich meine Freundin, ob sie mich Ende Februar in Südostasien besuchen kommen könne. Ich sagte ihr, trotz der Schmerzen, sie soll den Flug buchen und wir treffen uns in Thailand. Der Plan ging bekanntlich nicht auf. Aber noch ist nichts verloren, denn ich habe ja noch eine Woche Zeit zu überlegen, ob ich mich nun wieder Richtung Asien aufmachen werde. Ich überlege und überlege.
Ein schlechtes Gewissen bereitet mir die Tatsache, dass Dave, ein Spezzl von der Westküste Amerikas, den ich paar Wochen zuvor in Kambodscha traf, extra zwei Flüge stornierte/umbuchte, damit wir durch Myanmar reisen könnten. Tja. Shit happens.
Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Warum eigentlich ich? Warum genau jetzt? Es wär, als würde mir das Schicksal eins auswischen wollen. Als würde es mir ins Gesicht blicken, schadenfreudig grinsen und dabei selbstgefällig mit den Schultern zucken.
Ich glotze an mir hinunter auf die verhasste schmerzende Stelle. Und dann fiel die Entscheidung. Scheiß drauf, denk ich mir. Ich werde Österreich verlassen und wieder nach Südostasien aufbrechen. Offensichtlich, so sagen mir die Ärzte ja, ist alles in Ordnung. Und ob ich nun Schmerzen zuhause oder auf Reisen habe, entscheide ich mich lieber für die Reise.
Ende März 2017
Mehr als ein Jahr ist nun vergangen, seit ich im Krankenhausbett lag und mir nichts sehnlicher wünschte, als nichts mehr zu spüren, mich nicht mehr zu spüren. Irgendwann sagten sie mir, es wäre psychisch. Psychosomatisch um genau zu sein. Wirklich? Was auch immer die Ursache war oder ist, es kann mir bis heute niemand sagen, woher die Schmerzen herrühren, die mich immer noch regelmäßig heimsuchen, wenn auch in größeren Abständen.
Bevor ich der Schmerzen wegen nach Österreich zurückkehrte, bediente ich mich eine Zeit lang der Verdrängung der körperlichen Leiden, wie auch der Verdrängung meiner Gefühle, der Vortäuschung, erstickte das kleinste Aufkommen von Zweifel und Reue von getroffenen Entscheidungen im Kern, meine Bewältigungsstrategie sozusagen, mein Freund und Feind zugleich und beinahe mein Verderben. Ich verlor den Kontakt zu mir selbst und meinen Empfindungen. Ich ging nicht gut mit mir um, meinem inneren Selbst, mit meinem Körper; mir war alles egal. Auf gewisse Weise bestrafte ich mich sogar, weil ich der Meinung war, ich hätte es nicht anders verdient.Und erst dann kamen die Schmerzen. So als würde mir mein Körper nun sagen wollen: so, du willst es wohl nicht anders, jetzt musst du mich spüren. Und so spürte ich ihn, jeden Tag, jede Stunde, jede verdammte Sekunde. Rund um die Uhr. Wie sehr ich zunächst meinen Körper nun umso mehr ablehnte, ihn dafür sogar hasste.Und dann dauerte es trotzdem noch einige Wochen bis der Zusammenbruch schließlich unumgänglich war.
Was ich aus heutiger Sicht sagen kann ist: Alles hat seinen Sinn im Leben, nichts geschieht aus Zufall. Auch nicht, dass ich auf der Reise krank wurde. Rückblickend gesehen, war das Manifestieren der Schmerzen ein wichtiger Teil mich endlich mit mir auseinander zusetzen. Ach was habe ich alles gelernt dank der „Erkrankung“; so viele für die stetige Heilung wichtige Menschen getroffen die mich ein Stück weit begleiteten und mir dabei halfen, mich besser zu verstehen und mich in Akzeptanz meines Selbst zu üben.
Die Schmerzen gehören zu mir, ich hab sie endlich angenommen, nun werden sie sich langsam von mir lösen und mich hoffentlich irgendwann als besseren Mensch zurücklassen. Der Blick auf mich selbst ist nun viel liebevoller, ich bin mir wichtig; ich bin lebendig. Ohne die Unterstützung meiner lieben Familie und Freunden und vielen Gesprächen mit Fremden auf der Reise sowie viel Yoga, Meditation und hochwertigen Essen, wär ich wohl noch immer an dem Punkt wo ich in Selbstmitleid zerfließen und den Sinn hinterfragen würde. Wir leben in einer Zeit, in der sämtliche Schmerzen verdrängt werden sollen. Rückenschmerzen? Tablette. Kopfschmerzen? Tablette. Traurig? Tablette.
Völlig nachvollziehbar, aber wohl nur Symptombekämpfung. Das Auftreten von Schmerzen ist so gut wie immer ein Zeichen, er zeigt auf, dass man sich mit etwas Vergangenem befassen sollte oder in der Gegenwart vielleicht etwas ändern sollte. Der Schmerz an sich selbst ist also oftmals nichts Schlechtes: Es liegt an einem selbst wie man damit umgeht, vielleicht eröffnen sich dadurch völlig neue Wege, Orientierung und persönliches Wachstum.
Vielleicht erreiche ich mit diesem Soul Striptease jemanden, der mit etwas in sich kämpft, vielleicht auch seit längerem chronische Schmerzen hat. Bitte nicht verdrängen, es hat einen Grund, dass dieser Schmerz da ist, versuche, diesen anzunehmen, darüber zu sprechen, zu schreiben. Zunächst den Schmerz wahrnehmen, diesen akzeptieren, sich mit dem Schmerz versöhnen, sich mit einem Selbst versöhnen, sich vergeben und sich schließlich lieben.
Schmerzen wären etwas Wunderbares, wenn sie nur nicht so weh tun würden. – Ralf Brebeck